So ticken die Jugendlichen von heute: Sinus-Studie analysiert die vielfältigen Lebenswelten der 14- bis 17-Jährigen

Trier/Mainz · Was denken Jugendliche? Was ist ihnen wichtig und erstrebenswert? Was lehnen sie ab? Die Sinus-Jugendstudie gibt darauf Antworten. Wichtige Erkenntnis: Die Werte vieler Jugendlicher sind mit denen anderer Altersgenossen kaum noch in Einklang zu bringen.

 Das Land klärt Schüler stärker über das Internet auf. Foto: Jens Kalaene/Archiv

Das Land klärt Schüler stärker über das Internet auf. Foto: Jens Kalaene/Archiv

Foto: TV

Wenn Peter Martin Thomas die Ergebnisse seiner Studie vorstellt, räumt er zunächst einmal ein Vorurteil beiseite: "Es ist nicht die Frage, ob und wie oft Jugendliche online gehen. Sie gehen höchstens ab und zu offline." Und dann erinnert der Leiter der Sinus-Akademie daran, dass erst vor acht Jahren das erste Smartphone auf den Markt kam, der Buchdruck aber 200 Jahre gebraucht hat, um sich durchzusetzen.

Dieser Vergleich soll zeigen, wie schnelllebig die Welt geworden ist und mit welchem Veränderungsstress Jugendliche zurechtkommen müssen. "In der Generation der geburtenstarken Jahrgänge herrschten Konkurrenz und Zielstrebigkeit, um im Leben etwas zu erreichen. Die demografische Entwicklung in Deutschland lässt junge Menschen heute zu einem seltenen Gut werden. Doch für viele der 14- bis 17-Jährigen bedeutet es letztlich Stress, sich alle Optionen für die Zukunft offen zu halten."

Ergebnis ist laut Thomas ein flexibler Wertemix, der jeweils dem Lebensumfeld angepasst wird. "Vieles ist wie vor 20 Jahren. Aber die Abstände zwischen den einzelnen Lebensweltmodellen sind viel größer geworden."
Auswirkungen hat das natürlich auch auf die Schule und den Unterricht. "Schule ist für die Mehrheit der Jugendlichen ein zentraler Lernort und zufriedenstellender Lebensort. Sie kann als Sozialraum aber auch Quelle für Unzufriedenheit im Alltag sein."

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Die unterschiedlichen Typen von Jugendlichen

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Wertechaos bei Jugendlichen macht Schulunterricht immer schwieriger

Leistungsstarke wollen nicht ausgebremst werden. Wer aus sozial schwierigen Verhältnissen kommt, setzt eine fatalistische Grundhaltung dagegen. Freiwillige Angebote der Schule, die nicht in Zeugnisnoten einfließen, werden nur noch wahrgenommen, wenn der Arbeitsaufwand dafür nicht groß ist. Aber bei allen Jugendlichen sind die Lehrer das wichtigste Kriterium für die Bewertung ihrer Schule, noch vor einem harmonischen Klassengefüge und guten Noten. Wie muss also Schule beschaffen sein, damit die Jugend für das Leben lernt? Das war auch in Trier bei den rheinland-pfälzischen Gesprächen zur Pädagogik die Frage, zu denen das für die Fort- und Weiterbildung von Lehrern zuständige Pädagogische Landesinstitut eingeladen hatte.

Direktorin Birgit Pikowsky verweist auf vorhandene Schulentwicklungsprojekte und das geplante Angebot der Hospitationsschulen, das ab dem kommenden Schuljahr erprobt werden soll. "Wir dürfen nicht unterschätzen, wie viele wertvolle Kompetenzen und Erfahrungen in den Schulen schon vorliegen. Daher ermutigen wir Schulen, ihre Türen für andere Schulen zu öffnen und diese an ihren Erfahrungen teilhaben zu lassen."

Aber auch runde Tische unter Leitung von Schulpsychologen oder erfahrenen Beratungskräften könnten bei individuellen Fragestellungen weiterhelfen. Diese Fallbesprechungen wären ganz im Sinne des Studienautors Peter Martin Thomas. Der befürwortet auch regelmäßige Supervision für Lehrkräfte, um Überforderung mit dem zunehmend schwierigen Alltag in den Klassen zu vermeiden.

"Grundsätzlich benötigen wir in den Schulen eine Pädagogik der Anerkennung, die auch die schwachen und prekären Schülerinnen und Schüler motiviert." Dem stimmt auch Bildungsministerin Verena Reiß zu, die das rheinland-pfälzische Schulsystem auf einem guten Weg sieht.

Durchbeißermentalität

"In der Ausbildung und in der Fort- und Weiterbildung von Lehrern muss der Umgang mit einer heterogenen Schülerschaft eine ganz zentrale Rolle spielen." Besonders wichtig ist für Reiß auch die enge Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus. Aber wie ist es mit der problematischsten Gruppe? Die Jugendlichen der prekären Lebenswelt zeichnen sich laut Sinusstudie zwar besonders durch ihre Durchbeißermentalität aus. Die jungen Menschen haben aber besonders schwierige Startvoraussetzungen für eine erfolgreiche Bildungskarriere.

Peter-Martin Thomas empfiehlt eine stärkere Berufsorientierung des Unterrichts. "Wir müssen die Betriebe stärker mit ins Boot nehmen." In der Tat sei da auch in Rheinland-Pfalz "noch Luft nach oben", gesteht Ministerin Reiß ein, die zugleich das Landeskonzept für Ganztagsschulen als vorbildlich für die besonderen Bedürfnisse von Kindern aus sozial benachteiligten Schichten bewertet. Der erweiterte Zeitrahmen biete Chancen für zusätzliche Unterstützungsangebote durch Lehrkräfte und Mitschüler.

Ob die Botschaften der Sinus-Jugendstudie wirklich ankommen, wird sich im Herbst zeigen. Dann will das Land bei einem Bildungsforum die Erkenntnisse und Anregungen unter anderem der Veranstaltung in Trier präsentieren. Vielleicht wird dabei auch der Wunsch von Peter Martin Thomas ein Thema sein: "Wir müssen auch mit Grundschulen und Kitas sprechen, damit es gar nicht so weit kommt, dass wir mit einem 15-Jährigen nicht mehr umgehen können."
Was bewegt die Jugend? Wie verändert sie die Gesellschaft? Fragen, die der TV in der Serie "Generation Y" beantwortet - eine Generation, geboren nach 1975 und benannt nach dem englischen Wort why (warum). Im nächsten Teil geht es um Subkulturen und Mainstream. Weitere Serienteile, Videos und Bilder auf www.volksfreund.de/geny

Extra Sinus-Jugendstudie

Die Sinus Mark- und Sozialforschung GmbH, Heidelberg, hat für die Jugendstudie 2012 das Sinus-Lebensweltenmodell u18 entwickelt. Dabei wurden die verschiedenen Facetten sozialer Ungleichheiten berücksichtigt sowie besonders die Wertorientierungen, Lebensstile und ästhetischen Vorlieben in den Blick genommen. Für die repräsentative Studie wurden 72 ausgewählte Jugendliche intensiv befragt, es wurden schriftliche Hauarbeitshefte und Fotodokumentationen erstellt. Es geht darum, welche jugendlichen Lebenswelten es gibt und wie Jugendliche in diesen verschiedenen Welten ihren Alltag erleben.
Erstellt wurde die Studie im Auftrag von: Deutsche Kinder- und Jugendstiftung, Bund der Deutschen Katholischen Jugend, Bundeszentrale für politische Bildung, Bischöfliches Hilfswerk Misereor, Bischöfliche Medienstiftung der Diözese Rottenburg-Stuttgart und Südwestrundfunk. r.n.

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