Das Warten auf den einen Anruf: Eifeler benötigt dringend Spender-Lunge

Üdersdorf · Mehr als 10.000 Menschen in Deutschland brauchen ein Spenderorgan. Einer von ihnen ist der Üdersdorfer Dieter Schommers. Doch es gibt zu wenige Spender. Das macht dem 53-Jährigen noch zusätzlich zu schaffen.

Das Warten auf den einen Anruf: Eifeler benötigt dringend Spender-Lunge
Foto: Christian Altmayer

Der Weg ins Schlafzimmer ist für Dieter Schommers jeden Abend ein schwerer Gang. Wenn er die Stufen steigt, schnürt sich ihm die Brust zu. Er schnappt nach Luft. Seine Haut wird bleich, die Lippen blau. Manchmal muss seine Frau Sabine ihm sprichwörtlich unter die Arme greifen, ihn stützen.

Noch vor wenigen Monaten habe er es noch allein nach oben geschafft. Doch er werde immer schwächer - von Woche zu Woche. Denn der Üdersdorfer leidet seit Sommer des vergangenen Jahres an einer Fibrose, einer Vernarbung des Lungengewebes. "Das sieht jetzt aus wie eine Honigwabe", sagt er, "ganz verklebt."

Es ist eine Krankheit, die dem 53-Jährigen im wahrsten Sinne des Wortes den Atem nimmt. Durch Schläuche in Mund und Nase pumpt eine Flasche Sauerstoff in seinen Körper. Sie ist jetzt sein ständiger Begleiter. Zudem schluckt er täglich einen Cocktail aus 13 Medikamenten, die die Krankheit bremsen sollen. Aufhalten können sie sie wohl nicht. Das haben die Ärzte ihm klargemacht. Drei bis fünf Jahre beträgt die Lebenserwartung bei dieser Art von Fibrose. Sehr selten tritt sie auf, zudem ist sie kaum erforscht.

Drei bis fünf Jahre also - es sei denn, das Telefon klingelt. Es sei denn, sie haben endlich eine neue Lunge für Schommers. Seit September steht der Eifeler auf der Warteliste. Vor wenigen Tagen wurde er auf "aktiv" gestellt. Das heißt: Wenn ein passendes Spender-Organ in der Homburger Uniklinik ankommt, wird der 53-Jährige angeklingelt. Es heißt aber auch: Die Schommers können kaum noch das Haus verlassen. Denn wenn der Anruf aus dem Krankenhaus kommt, muss jemand abheben. Und länger als 30 Minuten versuchen es die Ärzte nicht, bevor sie den Nächsten auf der Liste anwählen. Alles muss schnell gehen - eine Lunge hält sich nicht ewig.

Also bleibt den Schommers nichts anderes übrig, als zu warten, warten, warten. Warten darauf, dass jemand einen Unfall hat - stirbt, damit der 53-Jährige leben kann. Unter Umständen bleibt das Telefon für Monate stumm, vielleicht Jahre - Jahre, die der Familienvater nicht hat. Er versucht trotzdem, seiner Lage das Beste abzugewinnen: "99 Prozent der Tage sind für mich gute Tage", sagt er. Er hat immer einen Scherz auf den Lippen. Auch dann, wenn ihn die Leute anstarren, auf der Straße, im Supermarkt. "Da muss man sich erst einmal dran gewöhnen." An seine Krankheit gewöhnt hat sich seine Familie noch lange nicht. Vor allem die jüngste seiner beiden Töchter hat daran "schwer zu knabbern."

Sie kennt ihn als aktiven Mann. Damals war er noch Küchenchef in einem Dauner Hotel, kaum zu Hause, ständig auf der Arbeit. "Immer 150 Prozent", wie er selbst sagt: "Jede Woche von Montag bis Sonntag im Dienst." Selbst an Heiligabend habe er oft am Herd gestanden, Gemüse gehackt, Fisch paniert, Fleisch gebraten. Als er dann die Diagnose bekam, wurde er sofort in Rente geschickt. "Es war ungewohnt, ihn vergangenes Jahr an Weihnachten hier zu haben", sagt Sabine Schommers: "aber auch schön."

Es gibt zu wenige Organspender

Die Extrem-Situation schweiße die Familie zusammen, sagt die Frau, die ihrem kranken Mann vor wenigen Wochen ein zweites Mal das Ja-Wort gegeben hat. Ein Paar sind sie seit 31 Jahren. Und auch diese Zeiten werden sie überwinden, da sind sich die Schommers sicher: "Der Anruf wird kommen."

Doch es könnte auch alles schneller gehen, glauben sie. Ein Problem: Es gebe zu wenige Organspender. Herz, Nieren und eben auch Lungen blieben zu oft in den Körpern der Toten, wo sie niemandem nützten. Sowohl Dieter als auch Sabine Schommers tragen ihre Organspendeausweise hingegen immer bei sich: "Ich glaube, wenn man selbst betroffen ist, ist das etwas anderes", sagt Schommers: "So eine Situation, das ständige Warten, das wünschst du niemandem."

Den Organspendeausweis gibt es unter organspende-info.de

Meinung

Es geht um Leben und Tod

Organspendeausweis - ach ja, da war doch was. Auch ich will mir schon seit einiger Zeit wieder einen zulegen. Der letzte, den ich hatte, endete als zerknüllter Fetzen im Geldbeutel. Später dann im Papierkorb mit alten Rechnungen und all dem, was sich sonst so in meinem Portemonnaie angesammelt hatte. Das ist jetzt schon fast ein Jahr her. Doch die Geschichte der Schommers hat mir zu denken gegeben. Mittlerweile habe ich mir einen neuen bestellt. Denn: Dieser Fetzen Papier entscheidet über Leben und Tod. Rund 10.000 Menschen, allein in Deutschland, warten auf ein Spenderorgan. Viele von ihnen sterben, bevor das passende Herz, die passende Leber, die passende Lunge gefunden wird. Darüber denkt kaum jemand nach, der nicht selbst betroffen ist. Aber eigentlich ist hier jeder von uns gefragt. Jeder von uns kann Leben retten - zum Beispiel das von Dieter Schommers. Wer will schon egoistisch sein? Wer will wirklich seine Organe mit ins Grab nehmen, wenn sie noch jemandem von Nutzen sein können? c.altmayer@volksfreund.de


Extra Ablauf einer Organspende

Das erste Mal, dass einem Menschen ein fremdes Organ transplantiert wurde, war im Jahr 1954. Ein Mann spendete seinem eineiigen Zwilling eine Niere. Seitdem ist viel geschehen, die Medizin hat sich weiterentwickelt. Weltweit konnten Millionen von Leben aufgrund von Organspenden gerettet werden.

Doch wie läuft das eigentlich ab? In manchen Fällen ist es möglich, eine Lebendspende zu machen. Dafür müssen aber bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Beispielsweise können Eltern für ihre Kinder einen Lungenflügel spenden, aber nicht umgekehrt. In aller Regel erfolgt eine Organspende aber nach dem Tod des Spenders. Am Anfang steht dann immer ein Unfall oder eine schwere Krankheit, die den Hirntod eines Patienten zur Folge hat. Doch selbst wenn ein Arzt diesen feststellt, können dem Hirntoten nicht einfach die Organe entnommen werden. Es braucht dessen schriftliches Einverständnis, sprich einen Spenderausweis, oder eine Entscheidung der Angehörigen. Wenn das Bürokratische geregelt ist, wird der Hirntote zunächst getestet, seine Organe untersucht. Ist damit alles in Ordnung, werden sie transplantiert.

Doch auch danach kann es noch zu Komplikationen kommen. Denn oft versucht der Körper des Empfängers, das Fremdherz, die Fremdlunge, den Fremddarm wieder abzustoßen. Meist müssen die Betroffenen auch nach einer Transplantation ein Leben lang Medikamente nehmen, die das Immunsystem herunterfahren. cha

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