Weniger Flüchtlinge im Land - Abgeschoben wird oft in der Nacht

Trier/Mainz · Erneut wird eine Roma-Familie zur Rückkehr in den Westbalkan gezwungen – Warum die Landesregierung nichts dagegen tut – Menschenrechtsorganisationen protestieren.

Nur noch halb so viele Asylbewerber wie vor einem Jahr sind in den vergangenen sechs Monaten in Rheinland-Pfalz neu angekommen. Bis Anfang Juli hat das Integrationsministerium 3939 Flüchtlinge registriert. Gleichzeitig sind bis Mai 557 Menschen abgeschoben worden, die meisten von ihnen in Staaten des Westbalkans, die seit Herbst 2015 als sichere Herkunftsländer gelten.

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Vor allem wenn ganze Familien nachts aus ihren Quartieren geholt und zum Flughafen gebracht werden, reagieren deren Helfer und Freunde mit Entsetzen und Protest. Nachdem die Abschiebung einer vermeintlich gut integrierten Roma-Familie aus Saarburg hohe Wellen geschlagen hat, ist nun erneut eine Roma-Familie - eine Mutter mit vier Kindern - von der Polizei aus der Aufnahmeeinrichtung in Bitburg abgeholt und in ein Flugzeug nach Bosnien gesetzt worden. "Ich halte die Abschiebung für unrechtmäßig", sagt Rechtsanwalt Damian Hötger aus Idar-Oberstein, der im Namen der Familie die Klagen gegen die abgelehnten Asylanträge fortführt.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hält den Westbalkan für Sinti und Roma ebenso für unsicher wie der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Vorsitzender Romani Rose spricht von systematischer Ausgrenzung und Benachteiligungen, "die in ihrer Kumulierung der Schwere einer Verfolgung gleichkommen können". Gemeinsam mit dem Verein Multikulturelles Zentrum Trier und den Anwälten der Familien setzt sich eine Gruppe von Menschenrechtsaktivisten für die Rückkehr der Familien ein.

Auch auf Nachfrage will sich die Landesregierung nicht zu den Abschiebeverfügungen oder zur Situation der Sinti und Roma im Westbalkan äußern. Über die Gewährung von Flüchtlingsschutz entschieden das Bundesamt für Migration beziehungsweise die Verwaltungsgerichte. Daran sei das Land gebunden. "Rheinland-Pfalz verfolgt eine möglichst humanitäre Rückführungspolitik und gibt der freiwilligen Ausreise stets Vorrang vor der zwangsweisen Rückführung", so eine Sprecherin des Integrationsministeriums.

"Wenn jedoch eine freiwillige Ausreise verweigert wird, muss das Land den gesetzlichen Vorgaben entsprechen und einen Aufenthalt gegebenenfalls zwangsweise beenden." Das Land habe die Fachaufsicht über die für die Umsetzung von Abschiebungen verantwortlichen Ausländerbehörden. Diese sind Teil der Verwaltungen von Kommunen und Kreisen. "Wir können aber keine Vorgaben machen, die dem geltenden Recht widersprechen würden."
Meinung

Wenn Politik zum dreckigen Geschäft wird

Abschiebungen müssen wütend machen. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. Welchen Stellenwert hat der Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes in dieser Zeit der Kriege am Rande Europas? Auch in Rheinland-Pfalz geht die Zahl der Asylbewerber seit Monaten zurück. Vielerorts wird das Ende der Notmaßnahmen erklärt. Die ganze Kraft soll nun der Integration der Menschen gelten, die in Deutschland bleiben dürfen.

Gut so! Doch Politik ist manchmal ein schmutziges Geschäft, wenn es um Menschen und Schicksale geht. Das zeigt sich an zwei aktuellen Abschiebefällen in der Region. Zwei Familien wurden zu nächtlicher Stunde aus dem Schlaf gerissen, in Busse gepackt und zum Flughafen gebracht, wo der Flieger in die vermeintlich sichere Heimat schon wartete. Die Staaten des Westbalkans - so die Begründung - sind schließlich aussichtsreiche Aspiranten für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union und gelten deshalb als sichere Herkunftsländer. Politik ist ein schmutziges Geschäft, wenn Vereinbarungen mit anderen Staaten zu Deals werden. Das ist auch bei den Rückführungsabkommen mit den sogenannten Magreb-Staaten im Osten Afrikas so. Und wen schert schon das Schicksal einer traumatisierten Romafrau und ihrer Kinder? In Bosnien gibt es schließlich eine Polizei, an die sie sich wenden können, wenn das Dach über ihren Köpfen brennt oder die Kinder auf der Straße angepöbelt und geschlagen werden!

Dass die Polizei das nicht interessiert und wegschaut, kann doch nicht das Problem der Menschen in Deutschland sein ... Es ist allerdings unser Problem, wenn kranke und bereits integrierte Menschen abgeschoben werden, nachts, wenn nicht mit Protesten der Helfer und Freunde zu rechnen ist. Es ist unser Problem, wenn der Verdacht entsteht, dass über Asylanträge im Eilverfahren und ohne angemessene Sorgfalt entschieden wird. Und wenn nichts hilft - Vorsicht Ironie! - gibt es zum Glück ja noch Dublin beziehungsweise die nach der Hauptstadt Irlands benannte Verordnung. Deutschland als Insel der Seligen ohne europäische Außengrenze. Vermutlich werden wir noch viele Flüchtlinge nach Italien zurückschicken, wo sie ihren ersten Schritt in die Festung Europa geschafft haben. Die Würde des Menschen … r.neubert@volksfreund.de

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