Schmerzhafter Spagat

Bischof Stefan Ackermann ist um seine Funktion als Missbrauchsbeauftragter wahrlich nicht zu beneiden. Der Spagat zwischen aufdeckungsgierigen Medien, enttäuschten Opfern, zweifelnden Basis-Christen und einem katholischen Establishment im Süden, das lieber heute als morgen den Deckel zuklappen und den Mantel der Verzeihung ausbreiten würde, dürfte ziemlich schmerzhaft sein.


Ackermann wird nicht viel Zeit haben, ein neues Aufklärungskonzept vorzulegen, wenn er vermeiden will, dass der Flurschaden noch größer wird, als er ohnehin schon ist. Mitleid mit seiner Kirche ist freilich nicht angebracht. Die Bischofskonferenz hat bewusst einen bekanntermaßen unabhängigen und sperrigen Wissenschaftler wie Christian Pfeiffer beauftragt, um gerade durch dessen Ruf ihren eigenen Aufklärungswillen zu beglaubigen. Und dann hat sie die Nebenwirkungen nicht ausgehalten - jedenfalls einige wichtige und einflussreiche Protagonisten nicht. Das zehrt an der Glaubwürdigkeit.
Es sind nicht die notorischen Kirchenskeptiker, um die sich Ackermann sorgen muss. Für die ist jeder Missbrauchsfall ohnehin nur eine Bestätigung ihrer Einschätzung. Das Problem sind die "normalen" Kirchenmitglieder, die am gleichen Tag in der Zeitung lesen müssen, dass wieder ein Missbrauchspriester im Schoß der Kirche bleiben darf, um dann, beim Umblättern, auf die Schlagzeile zu stoßen, dass kirchlichen Krankenhäusern verboten wurde, Frauen nach einer Vergewaltigung zu untersuchen, weil man dann auch auf die Möglichkeit einer "Pille danach" hinweisen müsste.
Mag sein, dass das formal nichts miteinander zu tun hat. Aber die Menschen nehmen es als verschiedene Seiten der gleichen Medaille wahr. So wie den Umstand, dass ein Kinderschänder im Ornat, der regelgerecht bereut, selbstverständlich Mitglied der Gemeinschaft bleibt - oft sogar in der Funktion. Während die Kindergärtnerin, die einen neuen Partner heiratet, oder der Krankenhauspförtner, der einen Mann liebt, erbarmungslos rausfliegen - aus der Kirche wie aus ihrer Existenz.
Gehorsam vor Menschlichkeit: Das ist die Logik der Religionsdogmatik, nicht die des gesunden Menschenverstands. Das macht die Sache so schwer für Kirchenleute wie Stefan Ackermann, die über gesunden Menschenverstand verfügen, aber auch über eine klare, mit arg begrenzter Bewegungsfreiheit ausgestattete Rolle in der katholischen Hierarchie. Wenn Ackermann resigniert, wenn sich die "Deckel drauf"-Fraktion durchsetzt, dann wäre die katholische Kirche wieder einen konsequenten Schritt weiter auf dem Weg weg von den Menschen.
d.lintz@volksfreund.de

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